IDEALE
Eine Bekannte von mir erzählt:
„Eine neureiche Russin hatte mich mit einem Buch von dir in der Hand gesehen und fragte mich erstaunt: „Warum liest du diesen Schund?“
„Wie, warum?“, wunderte ich mich. „Es ist doch interessant.“
„Ich habe sein erstes Buch, das zweite, dritte, vierte, fünfte, sechste und siebte ebenfalls gelesen“, erwiderte sie gereizt.
„Er erzählt nur Quatsch, besonders in seinen letzten Büchern. Danach ist es mir gelungen, in seine Sprechstunde zu kommen. Er hat mich um 500 Dollar erleichtert und mir einen Haufen Blödsinn erzählt.“
„Wie sieht er denn aus?“, fragte ich neugierig. „Naja, er ist klein, dick und hat graues Haar.“
„Der echte Lazarev wiegt über 100 Kilo und ist 1 Meter 90 groß. Er hat nur drei Bücher geschrieben. Alle anderen sind Fälschungen.“
„Woher weißt du das?“ fragte mich die neue Russin mit argwöhnischem Blick.
„Hast du denn gar keinen Unterschied zwischen Fälschungen und Originalbüchern entdeckt?“, wollte ich wissen.
„Was soll es denn da für Unterschiede geben? Auf dem einen Buch stand „Lazarev“. Auf einem anderen, das ich gekauft hatte „Lazorev“. Man sagte mir, das wäre ein Tippfehler.“
Auf meinen Einwand, dass sie Fälschungen gelesen hatte, wollte sie nicht eingehen.
Sag mir doch bitte“, bat mich meine Bekannte: „Warum sind derart viele Fälschungen und überhaupt Bücher mit der Überschrift „Karma“ auf den Markt gekommen, nachdem dein erstes Buch erschienen ist? Das Wort „Karma“ wurde zur Mode. Die Wahrsager sind von der „Aurakorrektur“ auf „Karmareinigung“ umgestiegen. Eine Menge Pseudoschüler von dir, beziehungsweise Schulen, in denen du angeblich lehrst, sind inzwischen auf dem Markt. Bald gibt es Wissenschaftler, die versuchen, sich deine Arbeit anzueignen oder zumindest als Trittbrettfahrer Nutzen daraus zu ziehen. Solche Menschen werden versuchen zu promovieren und sich einen Doktortitel zu verschaffen, indem sie deine Arbeit benutzen. Jeder könnte eine Videoaufnahme machen, die er dann verfälscht und als seine eigene Entdeckung ausgibt. Ich verstehe
ja, dass in unserem Land absolute Willkür herrscht, fühlst du dich nicht trotzdem ein bisschen benachteiligt?“
Ich antworte: „Erstens gibt es in unserem Land noch immer nur Pflichten, weil es in all den Jahren nicht auf den Schutz von Rechten, sondern auf die Erfüllung von Pflichten ausgerichtet war. Zweitens ist es doch nur gut, dass die Wahrsager jetzt von Liebe und Ethik sprechen und nicht mehr vom bösen Blick, Löchern in der Aura und Ähnlichem. Letztendlich nützt das den Leuten. Wenn einem die Idee, dass man zum Überleben gütiger sein muss, geklaut wird, ist das nur gut: Sollen doch alle sie weiterverbreiten. Je mehr Nachfolger
es gibt, umso besser. Ich habe nur zwei Möglichkeiten: Entweder verteidige ich meine Interessen, oder ich setze meine Forschungsarbeit fort. Natürlich habe ich mich für Letzteres entschieden. Nachdem es jetzt in Russland erste Anzeichen für Moral und Sittlichkeit gibt, muss man beide Möglichkeiten miteinander verbinden. Ich hätte noch eine Geschichte für dich. Soll ich sie dir erzählen?
Als ich in Jalta war, bat mich eine Frau, einen Vorfall zu erklären, der sich kurz zuvor ereignet hatte. Eine Bekannte von ihr hatte einen Sohn, so schön wie ein kleiner Engel. Alle waren einfach begeistert von ihm.
Er ist ganz plötzlich, ohne erkennbare Ursache, gestorben.
Die Ärzte konnten keine Todesursache feststellen. Weißt du, warum er gestorben ist?“
Meine Bekannte schaut mich mit weit aufgerissenen Augen an.
„Warum?“
„Weil alle ihn zum Ideal erhoben hatten. Jedes Ideal ist eine Art Kontaktaufnahme mit der Zukunft. Alle haben dazu beigetragen, ihn immer stärker an die Zukunft zu ketten, bis diese Zukunft sich ihm endlich verschließen musste. Verschlossene Zukunft bedeutet entweder Unfruchtbarkeit oder Tod.
Es passiert oft, dass ein Künstler das Porträt seiner geliebten Frau oder seines Kindes malt. Er stellt dieses Bild aus, und alle sind davon begeistert. Einige Zeit später stirbt die Frau oder das Kind, und keiner weiß warum. Auch eine Frau, die für ihre Kinder schwärmt, tötet sie ohne es zu ahnen.
Mein Name ist in unserem Land ohnehin schon bekannt genug“, fügte ich hinzu. „Äußere Popularität ist nicht gefährlich, die verinnerlichte kann einen umbringen. Solange es um meinen Namen anstößige Gerüchte gibt, bleibe ich gesund und am Leben.“
Alles vergeht, nur die Liebe zu Gott bleibt erhalten. Je mehr uns bewusst wird, dass das Leben in seinem Inneren voller Licht und Schönheit ist, desto schöner und strahlender wird unser Leben nach außen sein.